Krankheitszeichen und Symptome

Im subjektiven Erleben einer Störung drängen Krankheitszeichen und Symptome mit unterschiedlicher Stärke ins Bewusstsein. Je intensiver eine Störung wirkt desto bedrohlicher wird sie empfunden. Zu den am meisten die Lebensqualität beeinträchtigenden Empfindungen zählt der Schmerz. Darum besteht das vordringlichste ärztliche Anliegen darin, so rasch und dauerhaft wie möglich Schmerzen zu lindern. Auch andere Symptome wie Jucken, Kribbeln, Taubheit und Brennen können über das Schmerzempfindungssystem vermittelt sein.

Da die Intensität und die Dauer der Symptome in einer gegenseitigen Wechselbeziehung stehen, ist es wichtig die Phänomene der zugrundeliegenden Regulationstätigkeit des Organismus zu verstehen. Bei anhaltenden Beschwerden entwickelt sich ein chronischer Verlauf und die Frage nach den verursachenden Faktoren erhält eine zunehmende Bedeutung.

Die Steuerung der komplexen bewussten und unbewussten Lebensvorgänge  obliegt den acht somatischen Systemen. Das Nervensystem nimmt eine Sonderstellung in der Evolution ein, da es die neurophysiologische Basis des subjektiven Erlebens bildet und die Fähigkeit besitzt Erinnerungen zu speichern. Empfindungen sind für das Überleben eines Menschen notwendige, rezeptiv vermittelte Basisfunktionen objektiv nachweisbarer, jedoch unbewusster neuronaler Tätigkeit zur Regulation des Organismus. Diese Besonderheit beruht auf  Aktivierungsvorgängen des peripheren, zentralen und vegetativen Nervensystems. Auf der Körperoberfläche können sich die neuronalen Aktivierungen von wenigen Millimetern auf mehrere Zentimeter große Areale der Schmerzwahrnehmung ausdehnen. In den tiefen Geweben regulieren Aktivierungen die Muskelspannung, die Koordination der Bewegungsabläufe und der Gelenke.

Bewusst gewordene Empfindungen bilden die Grundlage für die Selbsterfahrung, dem Gewahr werden und der Befriedigung von Bedürfnissen und für die Orientierung im Kontakt mit der äußeren Welt. Für den Patienten stellt es eine große Erleichterung dar, wenn subjektiv wahrgenommene Schmerzen in der Intensität, ihrer Lokalisation und dem Ausdehnungsmuster nachvollziehbar sichtbar gemacht werden können. Dann wird klar, dass Schmerzen niemals nur psychisch oder gar eingebildet sind. Schmerzen können und müssen möglichst frühzeitig erkannt und mit wirksamen Regulationsmethoden behandelt werden um der Entwicklung einer chronischen Schmerzkrankheit vorzubeugen.

Im Symptom spiegelt sich die Gesamtheit eines Menschen wieder, auf der einen Seite die subjektive Dynamik und auf der anderen Seite die objektivierbaren Zeichen. Die Dynamik des Erlebens enthält neben dem Anliegen des Patienten zugleich den Schlüssel zu der bestehenden Störung und bildet darüber hinaus eine Kontrollinstanz für die Effektivität der Therapie. Bei genauer Betrachtung befinden sich im Symptomerleben die Funktionen unterschiedlicher Ebenen eines Menschen in einer widerstreitenden Wechselbeziehung. Sowohl die subjektive Erfahrung als auch die objektivierbaren Zeichen scheinen in einem dissoziativen Prozess auseinander zu driften, der die einheitliche Existenz aufzulösen scheint. Je nach Intensität kann dieser Zustand bedrohlich wirken und mit Ängsten verbunden sein. Nehmen wir zum besseren Verständnis dieses Phänomens ein Beispiel, welches auch für andere Symptome gelten kann.

Die Aufmerksamkeit auf eine schmerzhafte Körperregion ist einerseits verstärkt und andererseits gleichzeitig die Präsenz einer innewohnenden Bedeutung in diesem Gebiet vermindert. Fordern wir z.B. einen Patienten auf, für ein nicht schmerzhaftes Körperteil ein der regelrechten Funktion adäquates Symbol zu benennen, gelingt ihm das spontan, aber nicht oder nur deutlich verzögert für die schmerzhafte Region. Die Repräsentanz einer inhärenten somatischen Bedeutung der betroffenen Region oder Funktion manifestiert sich im Symptomerleben nicht mehr. Dieser Zusammenhang erlangt eine große praktische Bedeutung, weil es Patienten, die mit Symptomen belastet sind, deutlich besser geht, wenn sie die verlorene Präsenz in der belasteten Zone wieder herstellen können. Auch die Erkenntnisfunktionen kooperieren im Symptomerleben nicht mehr, die Körperempfindung ist z.B. unangenehm und schmerzhaft, emotionale Bindungen können belastet sein, die Intuition ist blockiert und die Gedanken bewegen sich im Kreis. Die Wahrnehmung insgesamt und speziell die eines Symptoms kann von Patient zu Patient und sogar innerhalb eines Menschen sehr unterschiedlich sein, da vielfältige Faktoren, wie z.B. die Atmung, die Aufmerksamkeit, die kognitive Einstellung, Vorerfahrungen und Stress modulierend einwirken.

An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass die Aktivierung nicht nur durch starke noxische oder physikalische Einflüsse bedingt sein kann, sondern vor allem Reaktionsmuster auf unbewusste Inhalte repräsentiert, die sich somatisch in Erinnerung bringen. Störungen in der Interaktion somatischer und psychischer Funktionen, aber auch Belastungen aus dem sozialen Kontext können die somatische Gedächtnisfunktion aktivieren. Nicht zuletzt spielen beeinträchtigende oder traumatische Erfahrungen, Verletzungen und Operationen eine Rolle, wobei auch bewusste Traumata oft noch unbewusste Anteile beinhalten.

Zusammenfassend enthält eine Symptomatik folgende Besonderheiten:

  • ein subjektives Erleben mit beeinträchtigter Empfindungs- und Wahrnehmungsfunktion
  • eine Aktivierung des peripheren und zentralen Nervensystems
  • eine Reaktionsbildung des motorischen und vegetativen Systems
  • eine unbewusste psychische Dynamik (somatisches Gedächtnis)
  • die Separation der Erkenntnisfunktionen
  • einen Verlust der inhärenten archetypischen Bedeutung somatischer Gewebe.

 

Symptome bringen ein komplexes Geschehen zum Ausdruck und sind eher Begleiter und Orientierung hin zu der Ganzheit, die in der Störung verloren wurde.